Strategische Einbindung

Den Manipulatoren nicht auf den Leim gehen…

In dem Sammelband „Strategische Einbindung. Von Mediationen, Schlichtungen, Runden Tischen und wie Protestbewegungen manipuliert werden“ schreiben Aktive aus dem Widerstand gegen Großprojekte wie Stuttgart 21, den Ausbau des Frankfurter Flughafens oder Atomkraftwerke. Ihre zum Teil langjährigen Erfahrungen mit Strategien von Politikern, Parteien, Regierungen und dem Kapital, der „Wirtschaft“, zur Schwächung des Widerstandes, legen sie in gut verständlichen Beiträgen dar und erfüllen damit ihre Vorgabe, nach der es ihnen daran lag, „Beiträge zu versammeln, die ihre Analyse entlang von konkreten Beispielen formulieren, die sich also auf reale Geschehnisse beziehen.“ Sie zeigen die Knackpunkte auf, an denen die Herrschenden ansetzen, um Widerstand zu schwächen oder zu brechen. Zentrales Thema sind dabei Schlichtungsverhandlungen und Mediationen. Alle Beiträge sind ausgesprochen kenntnisreich und hintergründig. Für den Band wurden auch einige ältere und bereits anderenorts veröffentliche Artikel überarbeitet. An den Anfang des Buches ist ein Beitrag von Bernd Sahler gestellt, in welchem dieser das Schlagwort der „Strategischen Einbindung“ erklärt und die Mechanismen und Grundzüge beleuchtet. Diese Strategie wird als Herrschaftsinstrument benannt, deren zentrales Merkmal es sei, „dass sie von oben gedacht, von oben geplant und gestaltet wird.“ (S. 15) Eine beigegebene Auflistung ihrer Bedingungen konkretisiert sie. Zu diesen gehören:

– Gesprächsrunden werden von RegierungsvertreterInnen einberufen.

– Sie wählen die SchlichterIn, die Mediatorin, die VersammlungsleiterIn aus.

– Die Themen und Besprechungspunkte werden von den MediatorInnen bestimmt.

– Es existiert von vorneherein keine „Waffengleichheit“ zwischen beiden Seiten.

– Den beteiligten Personen und Gruppen wird kein Entscheidungsrecht zugestanden.

Michael Wilk behandelt als einer der Aktivisten im Widerstand gegen den Flughafenausbau in Frankfurt/M. in seinem ersten Beitrag die „Einbeziehung als Herrschaftsinstrument.“ Er wertete dafür unter anderem die analytischen Untersuchungen der Gegenseite (hier Fraport) aus. Für antikapitalistische und emanzipatorische Bewegungen ist es dabei erfreulich, wenn die „Stiftung Marktwirtschaft“ zum Ergebnis gelangt, „dass bei den Protestbewegungen am Frankfurter Flughafen eine bedenkliche Tendenz zur Aberkennung der Legitimation der Institutionen und Akteure des politischen Systems“ offenbar werden. Wilk fasst treffend zusammen, dass die Proteste „eine wachsende Tendenz einer sozial-politischen Entkoppelung zwischen den betroffenen Menschen und dem politischen System“ zeigen. (S. 20). Wenn Menschen sich daher in Selbstorganisationen wie Bürgerinitiativen zusammenschließen, die „nicht mehr direktem Einfluß der klassischen politischen Institution ‚Partei‘ unterliegen, droht vieles den normalen Regularien der Herrschaft zu entgleiten.“ Beispielsweise: „Unabhängige Informationen und Medien, eigenständige Aktionen, kreativer und militanter Widerstand, direkte Aktionen, die im schlimmsten Fall Schule machen und nicht abschrecken. An diesem Punkt setzen Verfahren ein, deren Aufgabe darin besteht, die entstehende Abweichung nicht allzu weit von den akzeptierten Spielregeln des Systems entgleisen zu lassen. Das Ziel besteht vielmehr darin, sie kalkulierbar zu halten und im Idealfall auch wieder zu reintegrieren und für das gesellschaftlich-staatliche Funktionieren zu nutzen. Leisten sollen dies dieMediations- und Dialogverfahren, die im Idealfall frühzeitig, also schon im Vorfeld eines drohenden gesellschaftlichen Konfliktes intervenieren, um eine Eskalierung tunlichst zu verhindern.“ (Wilk, S. 31). Haben selbst-organisierte widerständige Dynamiken sich aber bereits etabliert, dann wird von herrschender Seite mit Unterstützung der bürgerlich-kapitalistischen Medien versucht, „moralischen Druck“ zu erzeugen, um diesen Widerstand zu schwächen, zu spalten und an den Verhandlungstisch zurückzubringen, auch wenn es gar nichts zu verhandeln gibt. Annette Ohme-Reinicke und Michael Weingarten („Schlichtung als Entpolitisierung oder: Die Dialektik der Mediation“) veranschaulichen dieses Vorgehen am Beispiel des Widerstandes gegen Stuttgart 21. Hier waren es die Grünen, die von der damaligen CDU-Landesregierung ein Mediationsverfahren einforderten. Nachdem dieses von der CDU aufgegriffen und umgesetzt wurde, „bestand für viele Gruppierungen der ‚Stuttgart 21‘-GegnerInnen der Zwang, sich an diesem Verfahren zu beteiligen, wollte man sich nicht dem Vorwurf aussetzen, ‚undemokratisch‘ und ein ‚Gesprächsverweigerer‘ zu sein. Nur die ‚Parkschützer‘ [eine im Widerstand gegen S21 aktive Vereinigung] gingen, nach anfänglichem Zögern, dieses Risiko ein und sagten ihre Teilnahme an der Schlichtung ab.“ (S. 100)

Der Band versammelt weiterhin Beiträge von Thomas Wagner: „Die Mitmach-Falle. Die politische Mediation ist nur ein Baustein in einem weiter ausgreifenden Herrschaftsprojekt, das Bürgerbeteiligung heißt“, Florian Hurtig: „Vom Riesen einverleibt. Eine Analyse der RWE-Studie ‚Akzeptanz braucht Bürgerbeteiligung‘, Harry Block: „Verschweigen – Verschleiern – Vereinnahmen. Atomzentrum Karlsruhe – Erfahrungen aus vier Jahrzehnten Bürgerprotest und einer Mediation“. In einem zweiten Beitrag behandelt Bernd Saher die Schlichtung bei Stuttgart 21: „Trick 17 mit Selbstüberlistung. Wieso die Schlichtung bei S21 ein Fehler war, und warum die Politische Mediation keine Alternative ist“, und Michael Wilk untersucht und beschreibt fundiert die Rolle politischer Parteien innerhalb unabhängiger Widerstandsbewegungen: „Parteien als Reintegrationsinstrument – eine Bewegung zwischen Widerstand und Anpassung“.

„Strategische Einbindung“ ist ein reicher Erfahrungsschatz an Widerstand und seiner Bekämpfung durch „Schlichtungsgespräche“ und „Mediationen“. Die Themen werden gut verständlich aufbereitet und sind durchgängig aus der Perspektive „wir hier unten gegen die da oben“ geschrieben. Da Staat und Kapital nicht schlafen und sich immer wieder neue Strategien zur Durchsetzung ihrer Ziele und Profite überlegen – auf betrieblicher Ebene gibt es die „Schlichtungen“ ja schon lange, und dort kommt den DGB-Gewerkschaften die Rolle der politischen Parteien zu – ist dieses Buch sowohl für ältere wie auch für jung dazugestoßene eine Pflichtlektüre.

Martin Veith

Michael Wilk, Bernd Sahler (Hrsg.)

Strategische Einbindung. Von Mediationen, Schlichtungen, Runden Tischen… und wie Protestbewegungen manipuliert werden. Beiträge wider die Beteiligung.

Edition AV 2014, ISBN 978-3-86841-094-5, 170 Seiten, 14,00 Euro

Erstveröffentlichung in Syfo – Forschung & Bewegung – Mitteilungen aus dem Institut für Syndikalismusforschung Nr. 5 – 2015

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